Raumbezug und Performativität in den künstlerischen Arbeiten von Linda Nadji

Die 1972 in Teheran geborene Künstlerin Linda Nadji, die sowohl ein Designstudium, eine Schauspielausbildung als auch ein Studium der Bildenden Kunst absolvierte, vereinigt in ihrer künstlerischen Praxis zunehmend Aspekte der Objektkonstitution, des Raumbezuges wie auch der Bewegung und Performativität. Besonders beispielhaft in Bezug auf Nadjis räumliche Interventionen erscheint ihre Arbeit „Wanna be a Swimmingpool“ (2013) im Kunstverein Gelsenkirchen, wo sie eine breite Bahn eines Filzteppichs in leuchtendem Türkis durch den Raum führt – und zwar nicht wie üblich fein säuberlich Kante an Kante verlegt auf dem Fußboden, sondern in großen Schwüngen auch an den Wänden entlang und bis unter die Decke über die Deckenbalken hinweg. Insgesamt befinden sich 100m2 Teppichmaterial im Raum, ein 50m langes Teppichstück, das ununterbrochen durch den Raum geführt wird und diesen neu strukturiert, wobei es die Form eines Siebenecks annimmt. Die Raumparameter werden hierbei auf neue Weise wahrnehmbar, die hölzernen Stützsäulen zeichnen sich durch das Material des Teppichs ab, der wiederum über eine matte, weiche wie auch eine mit Schutzfolie isolierte, glänzende Seite verfügt, die beide sichtbar werden und die Wahrnehmung jeweils prägen.

Durch diese räumliche Intervention verändert sich der Eindruck des Ausstellungsraumes grundlegend, die Rezipienten befinden sich inmitten der Arbeit und sind umgeben von der Materialität des weichen wie auch glänzenden Flors, was durch die Farbe, die Reflexion der Lichter und des Glanzes Assoziationen an Wasser aufkommen lässt, wie es auch der Titel der Arbeit bereits suggeriert. Als würde das Dachgeschoss mit seiner Tragekonstruktion in einen imaginären Swimmingpool transformiert werden. In ihrer Kombination von seriell aufgereihten Neonröhren mit dem türkisen Teppich veränderte Linda Nadji den Ausstellungsraum in einen speziellen Ort der Wahrnehmung und Emotion durch intelligente Nutzung von Oberflächen, Haptik und Optik sowie den vorhandenen Raumparametern.

In ganz ähnlicher Weise funktioniert auch Nadjis Arbeit „Im Grünen“ (2015) im Kunstraum Holzmann in Kirchheimbolanden, wo sie unter anderem als große, in den Raum eingreifende Arbeit eine grüne, leicht opake Kunststofffolie straff zwischen den vorhandenen zahlreichen Säulen der alten Mälzerei, die nun als Präsentationsort für Kunst genutzt wird, auf unterschiedlichen Höhen verspannt. Fast scheint man die Spannung körperlich zu spüren, die den Raum unterteilt, die Säulen miteinander verbindet und den Gang wie auch den Blick des Betrachters lenkt. Weiterhin wird die Aufmerksamkeit akustisch durch einen vom Tonband abgespielten Sound mit Vogelgezwitscher geprägt, der die Wahrnehmung und Stimmung ebenfalls beeinflusst und eine Situation „Im Grünen“ assoziieren lässt.

In ihrer Ausstellung „Framed Unframed“ im Projektraum „Tyson“ in Köln im Jahr 2015 ging Linda Nadji ebenfalls speziell auf vorhandene Raumparameter des Ausstellungsraumes mit großem Schaufenster ein und nutzte Vorsprünge, Seitenfenster wie auch das Fenster zum Innenhof für ihre skulpturalen Interventionen in den Raum, indem sie diese aufgriff, sichtbar werden ließ und zum Teil spiegelte oder übersteigerte.

Die Architektur, genauer eine vorhandene Holzgerüst-Struktur, die die Decke der Ausstellungshalle trägt, wird in der Arbeit “XXX“, die Linda Nadji gemeinsam mit Soo Hyun Hong konzipierte und in der Ausstellung „WinWin“ im Jahr 2014 im Güterbahnhof Ehrenfeld in Köln präsentierte, aufgegriffen. Die beiden Künstlerinnen spiegelten das Konstrukt, akzentuierten es hierbei und führten es bis auf den Boden des Ausstellungsraumes weiter, wodurch die formale Struktur des Raumes auf neue Weise erfahrbar wird. Die Verbindung zwischen der Architektur der X-förmigen Trägersäulen und der skulpturalen Setzung zeigt sich dabei auch in der Titelgebung: „XXX“. Die Skulptur wird hier ebenfalls zum tragenden Element, was einmal mehr zeigt, wie funktionale Architekturelemente immer wieder Teil oder auch Anlass von Nadjis künstlerischen Arbeiten werden.

Hierbei greift sie oftmals auch auf Baumaterialien, wie Holz, Folie, Teppichboden oder Styroporplatten zurück. So verkeilte sie beispielsweise in ihrer Arbeit „Heizkörper“ (2010) handelsübliche Styroporplatten in die Zwischenräume eines sich im Ausstellungsraum befindlichen Heizkörpers schräg zum Boden hin und kreiert somit aus einem vorhandenen Nutzelement des Raumes eine spannungsreiche und formstarke ortsbezogene Skulptur, deren Erscheinung sich je nach Betrachterstandpunkt und Bewegung im Raum leicht verändert.

Diesen Aspekt der Bewegung der Rezipienten denkt Linda Nadji in ihren ortsbezogenen Arbeiten häufig mit und weitet ihn nun in ihren neuesten Arbeiten auch auf die Weise der Darbringung aus, indem sie Menschen, die Bewegungsabläufe zu ihrer Profession gemacht haben – Tänzerinnen –, nun explizit in ihren künstlerischen Prozess einbezieht. Indem sie die Tänzerinnen um einen körperlichen Umgang mit von ihr ausgewählten Materialien bittet und diesen Materialumgang in der Bewegung wiederum zu ihrer Arbeit erklärt, öffnet sie den typischen, klassischen Werkbegriff der Kunst in die Bewegung und den direkt nachvollziehbaren Materialumgang, was wiederum aus einer gemeinsamen Kollaboration mit den Tänzerinnen entsteht.

So gesellt sich zu ihren objekthaften und raumbezogenen, skulpturalen Studien seit einiger Zeit immer stärker auch ein Aspekt der Veränderlichkeit durch Bewegung. Dabei greift Linda Nadji auch immer wieder auf bereits bestehende Arbeiten zurück, rekombiniert diese und überführt sie in neue Werke. So aktivierte sie beispielsweise die Skulptur „Oktagon“, die sie in einer Gruppenausstellung im Palazzo Trecchi in Cremona 2013 noch als statisches Solitär präsentierte, nun im Jahr 2016 im Maschinenhaus in Essen in einer Performance als zwei Einzelteile, die auf einer Art Bodensockel – der ebenso an eine Gymnastikmatte erinnert – nun von einer Tänzerin belebt wird, die in die beiden zylindrischen Einzelteile steigt, sodass Körper und Skulptur in verlangsamten Bewegungen miteinander zu interagieren scheinen. Die Tänzerin, das Objekt und die Bewegungen bringen eine neue künstlerische Formgebung hervor, die performativ angelegt ist und das Objekt in Bewegung zeigt.

In ihrem neuesten Projekt – eine 50 Stunden Performance im kölnischen Projektraum „Matjö“ mit dem Titel „materials“ – experimentierte die Künstlerin gemeinsam mit zwei Tänzerinnen 50 Stunden lang in einem Ausstellungsraum mit einer bestimmten Anzahl von Rigipsplatten – ebenfalls ein einfaches Material aus dem Baugewerbe – und dokumentierte die dabei entstehenden unterschiedlichen Formfindungen und Bewegungen fotografisch. Das Ausloten dieses Prozesses zwischen Bewegung und Stillstand, Aktion und Skulptur ebenso wie zwischen Berührung, Zusammenarbeit wie auch einzelner Setzung bestreitet eine Balance zwischen einem Formwillen, einem künstlerisch-wissenschaftlichem Erkunden ästhetischer Parameter wie auch Bewegungen und einer spielerischen Haltung, die durch große Offenheit geprägt ist.

Linda Nadjis Arbeiten durchzieht ein starkes Interesse an grundlegenden Fragestellungen des künstlerischen Schaffens, die sich in ihrem speziellen Blick insbesondere in der Wahrnehmung von Umgebungen und ihrer sorgsamen skulptural-installativen Reaktion auf Ausstellungsräume einerseits, sowie weiterhin in einem fragenden, suchenden und im praktischen Handeln und Agieren sowie in der Bewegung auslotendem Materialumgang spiegelt. Seit Neuestem kommt hierbei die Interaktion unterschiedlicher Personen, Körper und Objekte hinzu, die den Bogen ihres Schaffens noch weiter aufspannen.

Linda Nadji bringt Aspekte der Form, Darbringung, Selbstdarstellung, Verkörperung und des umgebendem Raumes auf vielfältige Weise zusammen und transformiert sie in ihren Arbeiten eindrucksvoll. Dabei lotet sie auf besondere Weise die Momente aus, in denen etwas aus der Form oder gar Norm gerät und die normale (Raum-)Ordnung gestört oder transformiert wird. So führt das bisherige künstlerische Schaffen von Linda Nadji von raumbezogenen Arbeiten hin zu einer gemeinsamen Arbeit mit Tänzerinnen in einem sichtbaren Ausagieren des Materialumganges, wobei die Bewegung ein wichtiger Bestandteil wird, die ihre immer schon bestehende Materialaffinität und Raumbezogenheit in vielschichtigen Werken zusätzlich ergänzt.

Julia Katharina Thiemann